Echtzeit

musik... irgendwie habe ich diesen Begriff noch nie wirklich gemocht, fand den Klang des Wortes von Anfang an unter anderem zu unsinnlich. Ich denke, dass das schon wichtig ist, denn Musik hat doch auch sehr viel mit Sinnlichkeit und Sensibilität zu tun. Und die Echt-Zeit: kann sie existieren? Ist die Zeit, von der wir annehmen, dass es die unsere ist, echt? Und könnte ich mich dann stolz, irgendwie der Falschen Zeit erhaben, als Vertreterin einer Echt-Zeitmusik, also einer echten Zeit-Musik, einer Musik die echt in der Zeit liegt betrachten - was vielleicht doch noch nicht so viele bemerkt haben, da wir alle nicht sehr bekannt sind, in der „normalen“ allgemeinen, der Zeitungs-, Bühnen- und Fernseh-Realität (sollte das die „echte“ Realität sein ??)
Dies sind einige meiner Gedanken zu dem Titel des Buches.
Eigentlich schreibe ich selten mit Worten, sondern bin eher auf der Suche nach Nonverbalem, nach Musik, in welcher Zeit auch immer sie erklingt - meistens versuche ich, die Zeit in meinen Stücken anzuhalten.

Partykillermusik. Wenn ich fachfremde Leute treffe, die wissen möchten, welche Musikrichtung ich denn nun spiele (meistens werden sie aus meinen Erklärungen nicht wirklich schlau) - dann antworte ich oft, entschieden, gleich alle möglichen Erwartungen an „Musik“ aus dem Weg zu räumen: Partykillermusik, und lächele freundlich. Sie lächeln dann meistens - in diesem Stadium - auch noch, und stellen wunderbarerweise oft die Frage, wo man diese Musik denn hören könne, ob es davon keine CDs gäbe. Nun ist es natürlich nicht ganz unproblematisch, diese Musik einfach so, alleine und unvorbereitet auf CD zu hören; es passierte leider schon einige Male, dass ich neugierige Gesprächspartner/innen mit CDs so erschreckt habe, dass sie für immer verschwanden. Vielleicht lag das an dem relativen Stillstand der Zeit, der sich in ihre Wohnungen schlich, und den für sie ungewohnten, undurchschaubaren abstrakten Anteilen, den rhythmisch frei angeordneten Geräuschen und Klängen – man kann ja mit vielen CDs "zeitgenössischer" Musik (die ungefähr nach 1920 entstand, also unter Umständen „seltsam“ klingt), Zuhörer/innen erschrecken, deren Hörgewohnheiten im funktionsharmonisch stabilen, rhythmisch eindeutig gegliederten Bereich liegen. Egal, auf welche Weise sie entstand, improvisiert-komponiert, konstruiert-komponiert, konstruiert-improvisiert, intuitiv improvisiert oder komponiert...

Zur Zeit empfinde ich, dass viele CDs doch eher Musikkonserven sind, die von Musiker/innen und wenigen, meist sehr gut informierten Hörer/innen verstanden werden können. Ich habe jedoch gemerkt, dass es auch für andere möglich ist, „Echtzeit“-Musik in einer realen Konzertsituation, oder einem tontechnisch sehr gut vorbereiteten Lautsprecherkonzert gerne zu hören und kennenzulernen.

Meine Herangehensweise an Musik ist u.a. von barocker Polyphonie inspiriert, kompositorisch improvisierend oder konstruiert improvisierend komponiert, komponiert, improvisiert, oder improvisatorisch komponierend, konzeptionell oder freiformal, je nach Projekt.
Am liebsten innerhalb der gefühlten jeweiligen Zeit, innerhalb eines gefrorenen Momentes. Eine unsichtbare vierdimensionale Skulptur zum Entstehen zu bringen, das wäre ein natürlich nie zu erreichendes Ideal.

Ich glaube nicht, dass es als Musiker/in unbedingt sinnvoll ist, über die eigene Musik analytisch zu schreiben und denke auch, dass es gar nicht so wichtig ist, auf welche Weise Musik entsteht, sondern vielmehr, ob sie klingt, interessiert, berührt, ob sie eine neue, eigene Sicht- bzw. Hörweise zur Verfügung stellt. Da jedoch sowohl vom Publikum, als auch von Veranstaltern oder Verwertungsgesellschaften die Qualität von Musik zumeist ausschließlich danach beurteilt wird, auf welche (ihnen schon bekannte) Art und Weise diese entstand, ist es vielleicht doch sinnvoll, hier diese möglichen anderen Herangehensweisen an Musik, die sich außerhalb der oft durch genaue Notation festgelegten, erforschten, be- und anerkannten Kompositionstechniken liegen, darzustellen und zu beschreiben - auch wenn dies nun unter dem Begriff "Echtzeitmusik" geschieht, und im Bewusstsein des Risikos, eine weitere Schublade zu definieren, und sich gemütlich hineinzusetzen.